Dietmar Dath:
Waffenwetter
Suhrkamp-Verlag
2007


Impressum
   
Der Autor entwickelt darin seine Poetik weiter und bringt eine spezifische Forschungsetappe derselben zum vorläufigen Abschluß.
   








„Waffenwetter“ ist, jetzt darf man’s ja sagen, da die Sache abgeschlossen wurde, der dritte Band einer Romantrilogie, die das Thema der Erlösung von der Beliebigkeit zum Gegenstand hat. Ihre drei Bände heißen „Die salzweißen Augen“, „Dirac“ und eben „Waffenwetter“: Ein Autor, der sich vornimmt, von Dingen zu schreiben, die er kennt, und zwar in Gestalt von Geschichten, die in Welten spielen, welche überhaupt niemand kennt als dieser Autor, weil er sie erfunden hat, verdoppelt sich: Er ist Insasse einer wirklichen und Schöpfer einer wahren Welt.

     
Wenn er, wie der Autor dieser Trilogie, davon ausgeht, daß er selbst überhaupt nur insoweit interessant ist, wie man von seinen Hirnzuständen auf einen bestimmten geschichtlichen Stand der Herstellung von Wirklichkeit aus dem Rohstoff Wahrheit schließen kann, dann wird er unbedingt versuchen, alles Zufällige, schlecht Subjektive mit dem Archäologenpinselchen vom Wesentlichen abzutragen, an dem man den gemeinten historischen Gesamtzustand ablesen kann. Die Trilogie handelt also vom Versuch des betreffenden Autors, sein Ebenbild, das als Demiurg hervortritt, im Laufe des Erzählgangs so in die ästhetische Schöpfung zurücktreten zu lassen, daß es darin nicht mehr von den Dingen ablenkt, die seine ästhetische Schöpfung zum Auskunftsinstrument über Wirklichkeit und Wahrheit machen.

 



Im ersten Band versteckt sich das Ebenbild des Autors zunächst hinter einer angemaßten Objektivität, nämlich einer scheinbar ernstgemeinten ästhetischen Theorie über eine Scharnierstelle zwischen Wirklichkeit und Wahrheit, der drastischen Kunst. Der Witz sollte sein, daß der Verfasser dieser Theorie nicht weiß, daß sie nur eine Attrappe ist, aus der er dann etwa nach der Hälfte des Textes vom Zwang des Fortgangs seiner impliziten Lebensbeichte vertrieben wird. Die Attrappe mußte gut sein, deshalb sind viele davon ausgegangen, der Autor habe da eine tatsächliche Theorie vortragen wollen. Man lädt ihn jetzt zu Diskussionsrunden über das Thema der Theorie ein. Er versucht, meistens abzusagen, obwohl die fiktive Theorie natürlich, um im Buch zu funktionieren, Züge einer tatsächlichen tragen mußte, wie sie der Autor entwerfen würde, wenn er auf so etwas Lust hätte. Das Buch ist Science Fiction, die Science heißt Ästhetik.
Im zweiten Band changiert das Ebenbild des Autors zwischen „ich“ und „er“. Sie heißt, wie schon im ersten Band, David Dalek und erkennt schließlich, viel zu spät, daß Menschen immer aus anderen Menschen zusammengesetzt sind. Der Mischzustand zwischen angemaßter Subjektivität – nicht nur, wie in den „Augen“, der Dalekschen, sondern jetzt auch der eines vorbildlichen Menschen namens Paul Dirac – und sozialer Objektivität (die Freundinnen und Freunde, die tatsächliche Biographie des Physikers Dirac) ist ein typischer Kippzustand für zweite Bände von Trilogien. Der dritte Band löst den Widerspruch zwischen dem Subjektiven und dem Objektiven schließlich nach der Seite einer neuen, ebenfalls angemaßten Subjektivität auf, die aber nicht mehr die des Autorebenbilds ist, das vielmehr verschwinden mußte. Übrig bleibt von ihm nur das Medium, durch das hindurch er aus der zufälligen und unwichtigen Subjektivität in die absichtliche und wichtige der Claudia Starik wechseln durfte, nämlich die Kunst. Deshalb kommt die Künstlerin Johanna Rauch in allen drei Bänden vor (wenn man will, darf man also von der Johanna-Trilogie reden [allerdings wird es später einmal, wenn alles gutgeht, noch ein weiteres Buch geben, in dem sie vorkommt, das aber nicht zur Trilogie gehört]).

Kurzfassung: „Die salzweißen Augen“ handelt von einer Subjektivität, die sich als Objektivität tarnt. „Dirac“ handelt von einem Zustand, in dem Subjektivität und Objektivität ein zähes Unentschieden erstreiten.
„Waffenwetter“ handelt von einer Objektivität, die sich als Subjektivität tarnt.
Anders als bei Hegel geht der Dreischritt also: 1. These, 2. Synthese, 3. Antithese. Die Synthese klappt nicht, die Antithese bleibt Siegerin, jedenfalls dann, wenn man die chronologische Reihenfolge für die sachlich richtige hält.


 
Höchst relevant fürs richtige Verständnis von „Waffenwetter“ dürfte der Umstand sein, daß zwar die Erzählerin unzuverlässig ist, aber doch nicht halb so unzuverlässig wie der Autor.

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